und was ich daraus gelernt habe
Vor inzwischen vielen Jahren steckte ich in einer persönlichen Krise und suchte Unterstützung bei einer Therapeutin. Ich fotografierte bereits einige Jahre und zunehmend auch gerne
Menschen.
Eines Tages schlug mir die Therapeutin vor, da ich doch so gerne fotografieren würde, mich doch mal ab und zu selbst fotografieren. Das sei eine gute Möglichkeit, sich spielerisch sich selbst
anzunähern.
Ich glaube, ich habe ihr innerlich zunächst einen Vogel gezeigt.
Ich sah mich selten gern auf Fotos.
Besonders gerne sah ich mich nie auf Fotos und selten fand ich mich gut getroffen.
Das Einfrieren eines Momentes kommt in Schnappschüssen ja selten gut rüber, wenn es nicht mit Bedacht geschossen ist. Mir missfiel meist mein Mund, mein Blick, meine Ausstrahlung, die ich
vermeintlich dort fand.
Oder eben nicht.
In meiner Erinnerung fotografierte mich selten jemand in Ruhe und der Besuch bei einem Fotografen viele Jahr zuvor, ich brauchte neue Passbilder, hatte mich auch nicht gerade ermutigt. Aus vielen
Versuchen (zum Glück fotografierte der damals schon digital) hatten wir gerade mal so aus enorm vielen welche heraus gefiltert, die ich annehmbar fand.
Warum also um Himmels Willen sollte ich mich diesem Quatsch aussetzen? Ich war ohnehin gerade nicht in meiner Mitte und nicht zufrieden mit mir selbst. Das würde sicher nichts werden und war mir
selbst im stillen Kämmerlein ohnehin eigentlich peinlich, mich so mit mir selbst zu beschäftigen.
Mir selbst visuelle Aufmerksamkeit schenken
Mich selbst ins Zentrum meiner visuellen Aufmerksamkeit zu stellen war mir unangenehm. Selbst mein Spiegelbild war mir zu diesen Zeiten meistens fremd.
Dennoch konnte ich nicht vermeiden, dass mich der Gedanke, die Idee im Stillen irgendwie beschäftigte. Ich begann darüber nachzudenken. Ohnehin in einer Auseinandersetzung mit mir selber, begann
ich zu überlegen, was mich eigentlich so sehr daran störte, warum es mir peinlich war und wieso mein Widerstand gegen das fotografieren meiner selbst so groß war.
Wertfreie Betrachtung
Da ich mich schon seit meinen Studienzeiten mit wertfreier Wahrnehmung beschäftigte, kam mir die grandiose Idee, diese wertfreie Betrachtung eventuell auch auf mich selbst anwenden zu können.
Schwer vorstellbar in dem Moment, aber theoretisch müsse das doch möglich sein.
Und so ertappte ich mich dabei, mir in Stunden, in denen ich alleine zuhause war, zu überlegen, wie ich es tun könnte. An einem hellen Plätzchen baute ich eines Tages mein Stativ auf und begann
mit Hilfe des Selbstauslösemechanismus tatsächlich einen ersten Versuch. Es war mir vor mir selber wahnsinnig unangenehm und ich bemerkte in meinem Kopf erstaunlich viele Sätze mit negativem
Charakter.
Negative Glaubenssätze
Enorm viele Sätze mit negativem Inhalt, meist nicht sehr freundlich mir selbst gegenüber, tauchten auf.
- Wenn dich so jetzt jemand sieht …
- Oh Gott, wie peinlich!
- Als ob da jemals was Schönes bei rauskommt …
- Das klappt nie!
- Mach schnell, das ist ja verrückt.
- Ich will hier weg.
- Wie konnte ich nur auf so eine dumme Idee kommen!
- Ich mach die Bilder, aber angucken tu ich sie mir nicht.
- Ich werde wie immer bescheuert aussehen.
- Ich bin nunmal nicht schön genug, also kann ich es gleich lassen.
- Warum stelle ich mich so in den Mittelpunkt, brauche ich etwa Aufmerksamkeit?
- Das ist doch völlig egozentriert!
- Man sollte nicht soviel um sich selbst kreisen.
Lauter lang gehegte Ideen, die sich im Laufe meines Lebens angesammelt hatten. Es wäre ein perfekter Zeitpunkt gewesen, mit jedem einzelnen Satz eine Selbstreflektion zu starten, aber nun wollte ich ja ein Foto von mir machen.
Die Fremde auf dem Foto war ich
Diese ersten Bilder hier zu zeigen, liegt mir fern und ich habe sie ja auch für mich und nicht für eine Öffentlichkeit gemacht.
Aber sie waren ein Auftakt zu einer erwachenden Neugier mir selbst gegenüber.
Ich spürte, wie wenig vertraut ich mich selber war und irgendetwas in mir wollte mehr wissen.
Ich kannte mich nicht. Und ich wollte mich nicht selber sehen.
Das konnte ich eindeutig erkennen.
Und darin entdeckte ich dann doch eine Chance.
Über das Selbstportrait begann eine Freundschaft mit mir selbst
In den darauffolgenden Wochen und Monaten bemerkte ich, wie ich immer mal wieder die Gelegenheit suchte, mein Stativ in einem ruhigen Moment aufzubauen und ein Bild von mir zu machen. Ich suchte
das richtige Licht, probierte verschiedene Positionen, versuchte, das ‚richtige‘ Maß an Nähe zu finden.
Irgendwann begann ich, spielerischer zu werden.
Da ich ohnehin gerne kreativ war in der Fotografie, nutzte ich Gegenstände, Räume, Momente und Utensilien, probierte Perspektiven und Möglichkeiten aus, um mich zum Beispiel durch etwas hindurch
zu fotografieren und so Anstand zu gewinnen oder mich vor mir selbst so dazustellen, dass ich mich selber interessant fand und neugieriger wurde. Auf mich und das, was geht.
Mit der Zeit wurde mein Blick auf mich selbst milder
Ich musste nun öfter schmunzelte, wenn ich bestimmte Gesichtsausdrücke entdeckte, anstatt sie schlimm zu finden und versuchte, meine Schokoladenseiten zu entdecken.
Natürlich versuchte auch ich, mich in meinen Augen ‘schön’ einzufangen.
Den richtigen Moment, den entspannten Gesichtsausdruck, das Licht so, dass weniger Falten ins Gesicht sprangen, ich leichter oder für mich selbst interessanter wirkte … natürlich sah ich, dass
ich älter geworden war und sich mein Gesicht im Gegensatz zu früher verändert hatte. Und natürlich gefiel mir nicht plötzlich alles, was ich sah, auch wenn ich mich um Wertfreiheit bemühte.
Aber das war irgendwie ich.
Die Hautsache war: ich begann, mir vertrauter zu werden. Und mir selbst viel bewusster, was in mir vorgeht, wenn ich mich vor der Kamera bewege oder die Ergebnisse anschaue.
Wir brauchen Milde und Mitgefühl für uns selbst
Wir sind mit uns selbst sehr oft sehr viel strenger als mit anderen Menschen, verzeihen uns selbst all die Dinge nicht, die wir bei anderen selbstverständlich und liebenswert finden, sehen
Falten, Ecken und Kanten, die wir bei anderen vertraut und individuell finden.
Entdecken wir sie bei uns selbst, verurteilen wir sie.
Warum sind wir mit uns selbst so hart? Viel härter als andere mit uns sind?
Vielleicht weil wir uns nicht täglich selbstverständlich selbst begegnen. Wir sehen uns schlichtweg zu selten.
Selbstportraits sind eine Reise zu mir selbst
Für mich ist die Arbeit mit Selbstportraits eine Art Abenteuer. Noch immer finde ich Neues und Verändertes, noch immer staune ich und
meine Neugier bleibt.
Inzwischen versuche ich mit meinen Selbstportraits Tieferes auszudrücken oder Geschichten zu erzählen, aber der Grundsatz bleibt gleich: ich sehe mich aus einer anderen Perspektive und das beeinflusst auch meine Innensicht auf mich selbst.
Und es hilft mir, mir bewusster zu werden über die Dinge, die mich bewegen und in mir vorgehen.
Ich bin also meiner damaligen Impulsgeberin sehr dankbar für diesen Anstoss: er hat mich auf eine lange, bunte Reise geschickt.
Welche Erfahrungen hast du damit, dir auf Bildern selbst zu begegnen?